Von Kristian Stemmler
Seit dem Start des buchholzblogs im Januar 2012 hat kein Thema die Gemüter mehr erregt als die Kritik am Luxusshop viel fein [feel fine]. Schon am Erscheinungstag des Beitrags vor zwei Wochen schnellte die Zahl der Zugriffe auf 393 hoch, das ist der höchste Wert nach dem Tag des Bürgerentscheids zum Ostring im vergangenen Januar. Auch an den folgenden Tagen sorgte der Beitrag für überdurchschnittliche Zugriffszahlen. Bis heute sind mehr als 30 Kommentare zum Thema aufgelaufen, die meisten mit einem ablehnenden, unfreundlichen, ja aggressiven bis beleidigenden Tenor.
Sogar die regionale Presse griff den Beitrag auf, wobei sich das Nordheide Wochenblatt auf einen Satz konzentrierte, der als indirekter Aufruf zur Sachbeschädigung interpretiert wurde. „Ist Ratsherr noch tragbar?“, titelte das Blatt. In der aktuellen Ausgabe wurde nachgelegt, erschienen vier Leserbriefe zu dem Vorgang und immerhin auch meine Gegendarstellung, in der ich erkläre, nicht zur Sachbeschädigung aufgerufen zu haben. In den Leserbriefen werde ich wie schon im blog überwiegend kritisiert und beschimpft.
Warum aber sorgt mein Beitrag im blog für derart heftige Reaktionen? Ein Grund ist sicher der polemische Tonfall des Beitrags. Unter anderem heißt es da, im Laden viel fein [feel fine] würden „Gilettefressen“ verkehren, dass „die Hackfressen der Stadt“ ja auch Treffpunkte bräuchten und dass Bendestorf, Wohnort von Geschäftsinhaber Michael Tölle, „die Heimat der reichen Pisser“ ist. Aber schwerer als die Polemik wiegt wohl das Thema des Beitrags. Kritik an den herrschenden Zuständen, an den sozialen Verhältnissen, an der Verteilung der Mittel löst nach wie vor heftige Reaktionen aus.
Was den polemischen Grundton angeht, so habe ich hier bewusst und wohlüberlegt Konventionen gebrochen. Dabei ging es mir darum, die Emotionalität des Themas aufscheinen zu lassen. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Hier soll niemand persönlich beleidigt werden! Schon meine Grundhaltung als Linker und gläubiger Christ gebietet mir, andere mit Achtung zu behandeln. Wenn ich mit Menschen zu tun habe, beurteile ich sie danach, wie sie auftreten, sich verhalten, nicht danach, ob sie einen Porsche Cayenne oder BMW X 5 fahren.
Allerdings missbillige ich grundsätzlich eine Lebensweise, die in der Benutzung dieser Autos ihren Ausdruck findet, den überflüssigen Luxus, den viele Reiche zelebrieren. Ich kritisiere die Herrenmenschen-Mentalität, die viele Wohlhabende an den Tag legen, ihre Ignoranz gegenüber den Menschen, denen es schlechter geht als ihnen, ihre Verachtung für Hartz-IV-Empfänger, Junkies und Obdachlose. Das macht mich auch wütend, weil ich in meinem Berufsleben viel mit Benachteiligten zu tun habe und weiß, wie sie sich abmühen, ihren Alltag zu bewältigen, während andere in Saus und Braus leben.
Wer in gesicherten Verhältnissen lebt, in seinem Einfamilienhäuschen oder der Doppelhaushälfte, der kann nicht ermessen, was es heißt, sich ständig Sorgen um die Zukunft machen zu müssen. Während man sich in saturierten Mittelschichtfamilien darüber Gedanken macht, ob man in diesem Sommer in die Provence oder auf die Malediven fährt, weiß die arbeitslose Alleinerziehende nicht, woher sie die nächste Rate nehmen soll und ob in diesem Monat vielleicht mal ein Kinobesuch drin ist. Die ständige Sorge ums Auskommen verschattet den Alltag von Millionen Menschen in diesem Land.
Natürlich ist es vor allem Aufgabe Linker auch die emotionale Dimension des sozialen Skandals deutlich zu machen. Es ist darum auch kompletter Unsinn, was die Kreisvorsitzende der Partei DIE LINKE, Anja Stoeck, in einem Leserbrief im Wochenblatt schreibt, nämlich dass „Sachbeschädigung an privatem Eigentum einzelner Menschen nicht der Handlungsweise Linker entspricht, da es hierbei eher um sozialen Neid als um eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse geht“. Tatsächlich werden bei linken Aktionen immer wieder Gesetze gebrochen , wird Sachbeschädigung in Kauf genommen, wenn etwa Farbbeutel gegen Fassaden fliegen, um auf die Gentrifizierung von Quartieren aufmerksam zu machen. Und stand der linke Bundestagsabgeordnete Dieter Dehm nicht gerade vor Gericht, weil er zum Schottern gegen den Castor aufgerufen hatte?
Besonders grotesk ist es, wenn sich Anja Stoeck eines Argumentationsmusters bedient, mit dem Neoliberale regelmäßig die Kritik an den sozialen Zuständen diffamieren. Sie versucht meine kritischen Beiträge als Ausfluss von sozialem Neid zu diskreditieren – wie tief kann man als Linke sinken?! Sie stellt sich damit auf die Seite rechter Eiferer, die meine Analyse mit demselben Argument vom Tisch wischen. Ich stelle hier noch einmal fest: Ich habe mich schon als Redakteur beim Hamburger Abendblatt für Obdachlose, Junkies und andere Ausgegrenzte eingesetzt und werde das auch weiter tun! Das allein ist meine Motivation und dafür nehme ich nach wie vor eine Menge Nachteile in Kauf.
Es geht hier auch nicht um bestimmte Automarken, wie mir unterstellt wird. Viele Linke begreifen immer noch nicht, dass es noch eine andere Dimension gibt als die der trockenen Fakten und Zahlen, der programmatischen Forderungen und parlamentarischen Diskussionen. Es gibt die symbolische Ebene, auf welcher der Skandal der sozialen Segregation greif- und angreifbar wird. Und da ist die Formensprache ein aussagekräftiges und bedeutsames Phänomen.
Es ist doch kein Zufall, dass der Siegeszug der so genannten SUVs mit dem Triumph der neoliberalen Ideologie einhergeht, dass diese Autos martialisch daherkommen wie Panzer. Das kann man doch nicht einfach abtun als irrelevant für die politische Analyse. Wacht doch mal auf! Das passt doch auch zur Formensprache in anderen Bereichen, etwa in der Architektur. Es ist doch auch kein Zufall, dass die Wohnblocks mit teuren Eigentumswohnungen, die auch in Buchholz aus dem Boden gestampft werden, immer mehr aussehen wie Festungen.
Hier wird deutlich, dass die Wohlhabenden sich in Zeiten fortschreitender sozialer Desintegration zunehmend abschotten und ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Und die von Abstieg bedrohten Mittelschichtler tun alles, um nicht in den Sog nach unten zu geraten. Dazu gehört natürlich auch, auf Kritikern der Zustände herumzuprügeln. Ich gehe davon aus, dass die Mehrzahl der Empörten im blog und in den Leserbriefen aus eben dieser Mittelschicht kommen – sich von linker Kritik abzugrenzen, ist da ein Gebot der geistigen Hygiene! Das nenne ich bürgerlichen Waschzwang.
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