Von Kristian Stemmler
Keine grinst wie sie. Nicole Bracht-Bendt ist allgegenwärtig. An ungezählten Kreuzungen und Ausfallstraßen des Landkreises verschandelt das knallige Plakatmotiv mit ihrem Konterfei die Gegend: „Ihre Bundestagsabgeordnete“ in rotem Blazer vor dem Blau-Gelb ihrer Partei. Ihr Slogan heißt: „Ehrlich. Eckig. Echt.“, ihr Ziel ist die Erringung eines Direktmandats für den Bundestag. Das ist ihre einzige Chance, wieder in den Bundestag zu kommen, denn ein sicherer Listenplatz wurde Bracht-Bendt verweigert, weil sie die Euro-Politik der Koalition nicht mittragen wollte, wie sie meint.
Mit ihrer Erststimmenkampagne beweist die Buchholzerin, die auch im hiesigen Stadtrat sitzt, vor allem Eines: dass ihre Partei, ihre Unterstützer und auch sie selbst offenbar zu viel Geld haben. Denn zu den vielen Plakaten kommen zum Beispiel noch die Kosten für die Anzeigen, die immer wieder im Wochenblatt erscheinen, und aktuell die Kosten für den Flyer an alle Haushalte, dessen Herstellung und Verteilung auch nicht für lau zu haben ist. Und das Tolle daran: Im Grunde ist das rausgeschmissenes Geld!
Denn selbst wenn Bracht-Bendt ihren Stimmenteil von 2009, der mit 16,9 Prozent vergleichsweise hoch lag, noch nennenswert steigern kann – für die Mehrheit wird es wohl kaum reichen. Wobei es sehr erfreulich wäre, wenn die liberale Nervensäge dem CDU-Kandidaten des Wahlkreises, Michael Grosse-Brömer, Parlementarischer Geschäftsführer der Union, soviel Stimmen wegnimmt, dass es für Svenja Stadler von der SPD reicht.
Natürlich könnte man es bei diesen eher strategischen Anmerkungen belassen, den Flyer in den Papierkorb werfen und sich wichtigeren Dingen zuwenden. Aber die Lektüre lohnt sich in diesem Fall – und zwar weil der Text des Flyers tiefe Einblicke in das Weltbild der Nicole Bracht-Bendt, in das Weltbild der FDP insgesamt, ihrer Mitglieder und Anhänger und wohl auch eines wachsenden Teils der Mittelschicht erlaubt.
Es ist das Weltbild von Menschen, die von den Problemen weiter Teile der Gesellschaft nicht wirklich etwas wissen wollen. Ein Weltbild, das die realen Verhältnisse vereinfacht und beschönigt, dass die tieferen Ursachen ausblendet und in der Konsequenz diejenigen verhöhnt, die in diesem Land nicht klar kommen, weil es suggeriert: Die sind ja selbst schuld dran! Von den Opfern der neoliberalen Ideologie will eine Nicole Bracht-Bendt nicht wissen.
Die ebenso bezeichnenden wie entlarvenden Sätze stehen auf der zweiten Seite des Flyers, auf der die Bundestagsabgeordnete erklärt, warum sie sich für eine „bürgerliche Mitte“ einsetzen will: „Die Mitte, das sind diejenigen, die morgens aufstehen, ihre Kinder versorgen, zur Arbeit gehen, Steuer zahlen. Diejenigen, die Leistung bringen, in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen, die sich ihr privates Glück selbst erarbeiten wollen, die ihr Leben eigenverantwortlich gestalten.“
Auf den ersten Blick harmlos klingende, aber in der Konsequenz gnadenlose, unbarmherzige Sätze! Sie sind Ausdruck eines geradezu menschenverachtenden Sozialdarwinismus, sie implizieren eine Herabwürdigung und Ausgrenzung von weiten Teilen der Bevölkerung. Sie vereinfachen und spalten statt zu erklären und zu versöhnen. Sie schieben den Schwarzen Peter den Millionen Menschen zu, die es nicht „schaffen“.
Ja, Frau Bracht-Bendt, viele schaffen es nicht mal morgens aufzustehen – das gibt es! Nicht weil sie zu faul sind, sondern weil sie depressiv sind, alkoholkrank, medikamentenabhängig oder weil sie längst resigniert haben. Gehen Sie doch mal in die Psychiatrien des Landes und fragen sie die Menschen dort nach ihren Erfahrungen! Viele sitzen dort, weil sie den Konkurrenzdruck nicht mehr ausgehalten haben, das Mobben am Arbeitsplatz und anderswo, die Jagd nach dem Erfolg, die tägliche Sorge ums Auskommen. Weil sie das gesellschaftliche Klima, für das Sie als Teil der Regierungskoalition mitverantwortlich sind, nicht ertragen.
Und wieso, Frau Bracht-Bendt, wollen Sie für die da sein, die Arbeit haben? Kümmern Sie sich doch lieber mal um die, die keine Arbeit haben, die sich die Hacken ablaufen, um wieder in Lohn und Brot zu kommen, die in irgendeinen ungeliebten Mini-Job gepresst werden und aufstocken müssen oder sich von Ein-Euro-Job zu Ein-Euro-Job hangeln. Sorgen Sie doch endlich mal dafür, dass es genug (anständig bezahlte) Arbeit für alle gibt, setzen Sie doch endlich mal den politischen Rahmen dafür statt die Märkte regieren zu lassen!
In der schönen heilen Welt der Nicole Bracht-Bendt kommen soziale Probleme nicht wirklich vor. Sie hat offenbar nicht die geringste Ahnung, was es bedeutet, von allem ausgeschlossen zu sein. Denn arbeitslos zu sein, heißt ja nicht nur, mit wenig auskommen, von der Hand in den Mund leben zu müssen und von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgegrenzt zu werden
Es heißt auch, keine Bestätigung zu bekommen, auf die vitalen Kontakte, die tägliche Ansprache verzichten zu müssen, die ein fester Job normalerweise bereit hält, und vor allem heißt es, keine Alltagsstruktur zu haben bzw. sich diese mühsam selbst aufzubauen. Arbeitslose fehlt das oft anstrengende, aber auch wohltuende Auf und Ab von Anspannung und Entspannung. Sie haben nicht immer Feierabend – sie haben nie Feierabend!
Leider begreifen das immer weniger. Ich fürchte, viele können den Text des Flyers unterschreiben, für sie sind das alles Menschen, die keine Leistung bringen, die keine Verantwortung tragen. Haben Sie überhaupt die geringste Ahnung, Frau Bracht-Bendt, was es bedeutet, wenn man als alleinerziehende Mutter mit Hartz IV seine Kinder irgendwie durchbringen muss, dafür sorgen muss, dass sie auch mal ins Kino gehen können, dass sie gesund ernährt werden, dass sie bei der nächsten Klassenreise dabei sind?! Das ist wirklich eine Leistung, einen solchen Alltag zu bewältigen!
Eine Nicole Bracht-Bendt grinst solche Probleme einfach weg. Und leider wollen offenbar auch wachsende Teile der Mittelschicht nichts mehr wissen, von denen, die im Schatten leben. Denn das ist ja der Clou dieses sozialdarwinistischen Weltbildes: Diejenigen, die im Fokus der liberalen Politik stehen, die „bürgerliche Mitte“, die „Leistungsträger, die morgens aufstehen“ – die leben doch schon auf der Sonnenseite, denen geht`s doch gut. Sie wohnen in ihrer Doppelhaushälfte, ihrem Eigenheim, ihrer Eigentumswohnung, fahren ihren Kombi oder Van und fahren mindestens einmal im Jahr in den Urlaub.
Diese Menschen brauchen im Grunde die Hilfe der Politik nicht. Hilfe brauchen die Millionen anderen, die nicht klar kommen, für sie muss der Staat da sein. Statt die Gutverdienenden aus der Solidarität mit den Schwachen zu entlassen, wie es die FDP (und die CDU) tut, und ihnen Steuergeschenke hinterher zu werfen, sollte sie die Solidarität einfordern. Aber das erreicht man nicht, wenn man die Gesellschaft spaltet, indem man Arbeitslose und Kranke als unwillig und faul diffamiert – wenn man den gängigen Vorurteilen und Klischees also noch Vorschub leistet.
Sätze wie „Die Mitte, das sind diejenigen, die morgens aufstehen, ihre Kinder versorgen, zur Arbeit gehen“ sind eine ungeheuerliche Diffamierung. Sie signalisieren denen, die keine Arbeit haben: Ihr strengt Euch nicht genug an! Ihr gehört nicht dazu! Ihr seid selbst schuld an Eurer Situation! Dieses unbarmherzige Urteil ist die Kehrseite des neoliberalen Credos, das da lautet: Jeder ist seines Glückes Schmied! Und wer wirklich Arbeit finden will, der findet auch welche.
Das aber sind die Propagandalügen, mit denen die Politiker ihr Versagen kaschieren. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Es gibt nicht genug Arbeit für alle!
Ob das wirklich besser wird, wenn Rot-Grün es am 22. September doch noch schafft, wage ich zu bezweifeln. Bekanntlich haben SPD und Grüne in der Ära Schröder viele Weichen erst gestellt, die zur heutigen Situation geführt haben. Andererseits sind in der Anhängerschaft dieser Parteien noch eher Leute zu finden, die Solidarität mit den Schwachen als Wert erkannt haben. Die das brutal-darwinistische Urteil der Tischlerin Nicole Bracht-Bendt nicht unterschreiben können.
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