In Zeiten von Youtube und Facebook ist die Infantilisierung der westlichen Zivilisation wohl nicht mehr aufzuhalten. Keine Idee ist blödsinnig oder schräg genug, um nicht noch umgesetzt und im Netz verbreitet zu werden. Der neueste Trend sind PR-Aktionen, die sich im Schneeballsystem fortpflanzen und dabei auch entlegene Winkel erreichen. So ist die so genannte „Ice Bucket Challenge“ jetzt in Buchholz angekommen – der Erste Stadtrat und designierte Bürgermeister Jan-Hendrik Röhse hat sich einen Eimer kalten Wassers über den Kopf gegossen.
Natürlich ist es immer schwierig, Aktionen zu kritisieren, die einen guten Zweck haben. Bei der „Ice Bucket Challenge“ (zu deutsch: Eiskübel-Herausforderung) geht es darum, auf die Nervenkrankheit ALS, Amyotrophe Lateralsklerose, aufmerksam zu machen, unter der zum Beispiel der Physiker Stephen Hawking leidet, und Geld für die Erforschung und Bekämpfung der Krankheit zu sammeln.
Das System funktioniert so: Man soll sich einen Eimer kalten Wassers über den Kopf gießen und danach drei oder mehr Leute nominieren, die dann 24 Stunden Zeit haben, dasselbe zu tun. Nimmt man die Herausforderung nicht an, soll man 100 US-Dollar an die Stiftung ALS Association spenden, wobei die meisten beides tun, also gießen und spenden. Die Aufforderungen werden in der Regel über soziale Netzwerke verbreitet, dort sollen Teilnehmer auch ein Video von der Aktion hochladen. Gestartet wurde die Aktion in den USA, in Deutschland haben bereits zahlreiche Prominente wie Helene Fischer oder Otto Waalkes und viele Bundesliga-Stars teilgenommen.
Jan-Hendrik Röhse wurde von seinem Sohn Justus (9) herausgefordert, der im Moment Urlaub bei seinen Großeltern in Williamsburg, Virginia, macht, wie die Stadt mitteilt. Im Garten seiner Großeltern ließ sich der Sohn mit Eiswasser übergießen, sein Vater tat es ihm in Buchholz vor dem Rathaus nach. Obwohl er damit die Herausforderung annahm, will er 100 Euro an die Berliner Charité spenden. Röhse nominierte mit Oliver Gatzke, Jörn Mennerich und Fred Acton drei Freunde unter der Maßgabe: „Ihr habt 24 Stunden!“
Laut Wikipedia hat die Aktion weltweit bereits über 15 Millionen Dollar zusammengebracht. Das ist natürlich eine schöne Summe – dennoch kann man solchen PR-Aktionen kritisch gegenüber stehen. So kann man sich fragen, ob es gut ist, dass sich immer durchgeknalltere Aktionen inflationär im Internet verbreiten. Oder ob es gut ist, dass ernsthafte Themen mithilfe schräger Aktionen ins Rampenlicht gerückt werden, andere aber hinten runterfallen, weil die PR weniger gut zündet.
Es kann doch nicht danach gehen, wer die beste PR-Idee hat, mit der man auch die Eitelkeit von Prominenten bedient. Es sollte doch viel mehr entscheidend sein, wo der Hilfebedarf am größten ist. Ich überlege mir doch vor dem Spenden, wo ich momentan die größte Notwendigkeit sehe zu helfen und für welche Zwecke mein Herz schlägt – und richte mich nicht danach, ob mich jemand herausfordert, mir kaltes Wasser über den Kopf zu gießen.
Die „Ice Bucket Challenge“ ist sicher von ihrem Ablauf her noch vergleichsweise harmlos, aber es gibt ähnliche Aktionen, die das nicht sind und die auch schon Todesopfer gefordert haben, so etwa die „Cold Water Challenge“, an der vor allem Feuerwehren teilnehmen. Ein Kegelclub aus dem Münsterland wollte sich Ende Juli am Biertisch mit 2000 Litern Eiswasser aus einer Baggerschaufel übergießen. Die Baumaschine kippte jedoch nach vorn über und ein Familienvater wurde erschlagen. Fünf Männer mussten mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Völlig durchgeknallt war auch die „Biernominierung“ Anfang des Jahres, bei der Teilnehmer Videos von sich ins Netz stellten, auf denen sie ein Bier auf ex trinken. Mehrere Jugendliche starben bei der Aktion, so ein 19-Jähriger, der in Irland nach dem Trinken des Biers in einen Fluss sprang und ertrank. Derzeit kursiert im Internet die „Fire Challenge“, bei der sich Jugendliche selbst anzünden und dabei filmen. Mindestens ein Jugendlicher erlag bereits seinen Verbrennungen. Er hätte sich nach dem Anzünden mit Eiswasser übergießen sollen.
Hinterlasse einen Kommentar