Von Kristian Stemmler
Die türkische Familie staunt nicht schlecht. Aus Richtung Rathaus kommen sie in den Rathauspark und sehen als erstes eine Menge ganz in weiß gekleidete Menschen beim Essen und Trinken und als zweites, weiter hinten am Spielplatz, eine Gruppe ganz in schwarz gekleidete Leute mit Bierflaschen oder einem Pappteller Kartoffelsalat in der Hand. „Die spinnen, die Deutschen!“, dürften die türkischen Passanten in diesem Moment gedacht haben.
In Buchholz kam es am Sonnabendabend wieder zu einem deutschlandweit einmaligen Duell: Weißes Dinner gegen Schwarzes Dinner. Zum zweiten Mal hatten der Diplom-Controller Stephan Jockel und seine Frau Claudia ein Weißes Dinner organisiert, eine aus Frankreich eingeschleppte Unsitte, bei der sich Menschen ganz in Weiß an einem vereinbarten Ort zum Picknick treffen. Und ebenso zum zweiten Mal hatte Uwe Schulze, Betriebsrat, Blogger (gegengift.eu) und Ex-Bürgermeisterkandidat, zum Schwarzen Dinner eingeladen, als Gegenveranstaltung und Protest.
Schulze war hocherfreut über den wachsenden Zuspruch. Während beim Weißen Dinner erheblich weniger Teilnehmer zu verzeichnen sind, nämlich nur noch etwa 60 statt der 100 im Vorjahr, hat sich die Teilnehmerzahl des Schwarzen Dinners verdreifacht, von vier auf 15, darunter erfreulicherweise junge Aktivisten. „Wenn wir so weitermachen haben wir das Weiße Dinner in zwei Jahren überholt“, scherzt Schulze.
Aber auch wenn sein Protest nach einer kabarettistischen Spontiaktion aussieht, es ist ihm ernst damit. „Wir empfinden dieses Weiße Dinner als ein dekadentes Event, als rücksichtsloses Verhalten gegenüber sozialen Minderheiten“, sagt er. Gerade der Rathauspark sei ein Ort für die Allgemeinheit, in dem sich auch Hartz-IV-Empfänger und Obdachlose aufhalten dürfen. Da sei es völlig deplatziert, wenn sich Besserverdienende breit machen und Luxus zelebrieren.
Natürlich weisen die Veranstalter und Teilnehmer von Weißen Dinnern gern darauf hin, dass die Veranstaltungen für alle offen sind und die Teilnehmer keineswegs alle steinreich seien. Das hat auch keiner behauptet. Aber es ist offensichtlich, dass die Teilnehmer vom Habitus und Auftreten her alle der Mittel- und Oberschicht zuzuordnen sind, im Endeffekt bleibt man unter sich. Und das Weiß wirkt nun mal edel und ausgrenzend.
Auf welcher Seite es an diesem Abend ausgelassener und ungezwungener zugeht, ist jedenfalls klar. Während die Menschen in Weiß gesittet an ihren Tischen sitzen, Sekt schlürfen und Konversation machen, tobt beim Schwarzen Dinner das Leben. Die Teilnehmer haben sich auf Decken oder auf dem Rasen niedergelassen, trinken Astra oder Apfelschorle, lassen sich Billigwürstchen vom Lidl und Kartoffelsalat schmecken, es wird gescherzt und gelacht.
Für besondere Stimmung sorgt das enfant terrible der Gruppe. Der temperamentvolle Karim, der ein T-Shirt mit der heute besonders beziehungsreichen Aufschrift „Good night white pride“ trägt, legt sich gern mit den „Weißen“ an. „Smash capitalism!“, grölt er in deren Richtung oder „Aufruhr, Widerstand! Es gibt kein ruhiges Hinterland!“ Als die Teilnehmer des Weißen Dinners mit weißen Taschentüchern winken, winkt er mit einem schwarzen Tuch zurück und freut sich: „Die winken mir ja zu!“
Das dürfte aber unwahrscheinlich sein, denn die weiß gekleideten Herrschaften meiden ganz offensichtlich alle Außenkontakte. Das kann man durchaus als symptomatisch verstehen, denn auch gesamtgesellschaftlich wird das Bürgertum ja angesichts zunehmender sozialer Erosion immer autistischer, schottet sich vor allem nach unten ab. Bloß nicht zuviel Kontakt zu den Habenichtsen, nachher ist das noch ansteckend und man landet bald selbst beim Jobcenter!
Genau diese gesellschaftlichen Hintergründe sind es auf die Uwe Schulze mit dem Schwarzen Dinner hinweisen will. „Wir wollen ein Zeichen setzen“, sagt er. An diesem Abend ist ihm das gelungen. Kurz nach acht Uhr beendet er das Schwarze Dinner, die Weißen können also noch ein bisschen ungestört weiter dinieren. „Aber im nächsten Jahr sind wir wieder da“, verspricht Schulze.
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