,

Loblied auf eine „prosperierende Stadt“ – Geigers letzter Neujahrsrundumschlag

DSC_0287Von Kristian Stemmler

„Another One Bites the Dust“ spielte das Stadtorchester Buchholz im großen Saal der Empore. Und wenn man wollte, konnte man das an diesem zweiten Sonntag im Januar als Anspielung verstehen: „Und wieder beißt einer ins Gras“ – es war nämlich der letzte Neujahrsempfang, den Wilfried Geiger mit der Bürgermeisterkette um den Hals absolvierte. Er tritt bei der Bürgermeisterwahl am 25. Mai nicht mehr an. Zum Glück leitete das Stadtorchester bei seinem schwungvollen Queen-Medley schnell zu „We are the Champions“ über.

Das passte besser. Denn nicht nur dass Geiger in bewährter Manier die tatsächlichen und vermeintlichen Erfolge der Stadt und damit auch seine eigenen im zurückliegenden Jahr pries. Er lobhudelte auch dem Landkreis, der dies in Person des Ersten Kreisrats Rainer Rempe (in Vertretung des erkrankten Landrats Joachim Bordt) in gleicher Münze zurückzahlte. Und natürlich feierten sich ein Stückweit auch die Gäste selbst, Vertreter der Politik und Verwaltung, der Wirtschaft, der Vereine, der Kunst, von Polizei, Feuerwehr und anderen Institutionen.

Mit mehr als 300 Gästen war der Neujahrsempfang noch besser besucht als im Vorjahr, was vermutlich auch auf die anstehenden Wahlen des Buchholzer Bürgermeisters und des Landrats zurückzuführen ist. Bei einem Glas Sekt mit O-Saft, einem Bier oder einer Tasse Kaffee und ein wenig Gebäck tauschte man sich aus, erörterte neueste Entwicklungen wie den Rückzug des SPD-Ortsvereinschefs Remo Rauber von der Bürgermeisterkandidatur und allen Ämtern. Es wurden neue Kontakte geknüpft und alte gefestigt.

Bevor man sich im Foyer zum Klönen versammeln konnte, galt es allerdings, den Begrüßungsparcour und die Reden zu überstehen. Geiger und seine Stellvertreterin Sigrid Spieker von der CDU (die sich auch um seine Nachfolge beworben hat) schüttelten gut 300 Hände. Ob bei ihm Wehmut mitschwinge, wollte der Autor bei dieser Gelegenheit vom Bürgermeister wissen. Er sei ja noch zehn Monate im Amt, entgegnete Geiger, deshalb sei das alles noch nicht so real: „Das wird es wohl erst, wenn man den Schlüssel für meinen Schreibtisch von mir haben will.“

In Geigers Rede fanden sich vertraute Elemente. Der Hinweis auf die demographische Entwicklung durfte natürlich ebenso wenig fehlen wie die Beschwörung der wirtschaftlichen Erfolge der Stadt und die Formulierung, Buchholz sei „gut aufgestellt“. Wobei Geiger nicht verschwieg, dass 2013 finanziell gesehen ein „durchaus schwieriges Jahr“ gewesen sei. Der Zensus habe der Stadt ein Minus von etwa zwei Millionen Euro gebracht, die Gewerbesteuer sei überraschend um drei Millionen Euro (im Vergleich zur Planung) eingebrochen.

Geiger zeigt sich aber mit Blick auf positive Prognosen von Wirtschaftsexperten optimistisch: „Unsere Konjunkturlokomotive steht im neuen Jahr unter Dampf!“ Erste Daten zeigten, dass sich die Gewerbesteuer „sehr gut entwickelt“. Auch bei der Einkommenssteuer seien weitere Zuwächse zu erwarten, da Buchholz im vergangenen Jahr um fast 600 Einwohner gewachsen sei. Nach eigener Zählung lebten 40.200 Einwohner in Buchholz. Geiger betonte erneut, man werde gegen den Zensus angehen, und sorgte mit der Bemerkung für Gelächter: „Wir werden die fehlenden Bürgerinnen und Bürger schon finden.“

Natürlich kam der Bürgermeister nicht umhin, bei seiner letzten Rede Erfolge bei der Gewerbeansiedlung zu reklamieren. Als er 1991 in Buchholz als Kämmerer angefangen habe, habe die Stadt ein Gewerbesteueraufkommen von rund fünf Millionen Euro verzeichnet, bis 2011 sei dieses Aufkommen auf 15 Millionen Euro angestiegen. Ein gutes Steueraufkommen und eine Arbeitslosenquote von 4,5 Prozent stellten dem Standort Buchholz „ein sehr gutes Zeugnis“ auf. Es sei erfreulich, dass es gelungen sei, das Gewerbegebiet Vaenser Heide II zu erweitern, bedauerlich sei allerdings, dass es im geringeren Maße erweitert worden sei als angestrebt.

Geiger scheute sich auch nicht, ein heißes Eisen anzufassen, das Thema GE III Trelder Berg, wobei er nach der Devise „Frisch behauptet ist halb bewiesen“ vorging. „Dabei muss man nur etwas genauer hinsehen: Auch dieses Gewerbegebiet ist auf der Erfolgsspur“, verkündete er fröhlich. Knapp drei Hektar seien zum Jahreswechsel in 2013 verkauft worden, Verhandlungen über den Verkauf weiterer Flächen liefen. Er sei sicher, dass man auch die Entwicklung dieses Gebietes mit einer schwarzen Null abschließen werde.

Die Ausweisung des GE III sei „die richtige Entscheidung“ gewesen: „Auf die Stadtkasse wird sich das positiv auswirken.“ Das kann man aber auch ganz anders sehen. Der grüne Bürgermeisterkandidat Joachim Zinnecker (er segelt derzeit auf der „Heidewitzka“ der Segelkameradschaft Buchholz in der Karibik und konnte daher heute nicht dabei sein) hatte kürzlich darauf hingewiesen, dass der Stadt der finanzielle Kollaps droht, wenn sie die nicht veräußerten Flächen im GE III Ende 2014 zurückkaufen muss.

Auch beim Thema Einzelhandel vermied es der Redner weitgehend, negative Entwicklungen zu erwähnen. Das Feld sei „gut bestellt“: „An der Peripherie florieren Möbel-Kraft und das Fachmarktzentrum, die Innenstadt hat mit der Buchholz Galerie wieder richtig Fahrt aufgenommen.“ Die lange Agonie des City Centers (das Abendblatt berichtet aktuell, dort werde sich erst in eineinhalb Jahren etwas tun!) war Geiger natürlich keine Silbe wert. Dafür mahnte er, sich angesichts von Aktivitäten in Buxtehude und Harburg nicht „auf den Lorbeeren auszuruhen“.

Auch der Ostring durfte in der letzten Neujahrsrede nicht fehlen. Mit Blick auf den Bürgerentscheid vor einem Jahr sagte Geiger: „Die Menschen dieser Stadt wünschen sich mit deutlicher Mehrheit eine Entlastung der Innenstadt durch eine Umgehungsstraße im Osten der Stadt.“ Das ist sicher richtig, andererseits lief der Appell, man solle sich doch wie Olaf Scholz in Hamburg an Bürgerentscheide halten, ins Leere. Denn der Bürgerentscheid bewirkt ja lediglich, dass der Ostring-Vertrag mit dem Kreis nicht gekündigt werden darf – und das macht ja keiner…

Weniger strittig war, was Geiger zum Thema ÖPNV ausführte. Er wies darauf hin, das die Metronom-Züge nach Hamburg und zurück trotz 20-Minuten-Taktes oft überfüllt seien. Die Debatte um einen Anschluss von Buchholz an das S-Bahn-Netz kämen daher ebenso wie die Diskussion um eine Reaktivierung der Strecke Buchholz-Maschen nicht von ungefähr. Die hohe Nachfrage beim ÖPNV sorge für eine Auslastung der Parkhäuser, daher müsse man über eine Erweiterung des Parkhauses Süd und Schaffung weiterer P & R-Plätze durch Abbau nicht mehr benötigter Gleise nachdenken.

Besonders betonte der Bürgermeister auch die Bedeutung des Krankenhauses in Buchholz. Der Anbau des Bettenhauses, für den man im Herbst den Grundstein gelegt habe, sei für ihn „der zurzeit bedeutendste Anbau in der ganzen Stadt“. Wichtig sei darüber hinaus, dass die Stadt dem Landkreis den Weg frei gemacht habe für den Bau eines neuen Altenheimes und den Bau eines Hubschrauberlandeplatzes auf dem Gelände der ehemaligen Zivildienstschule. Geiger: „Ich rechne fest damit, dass wir im Frühjahr hier Bewegung sehen.“

Für Lacher sorgte eine Bemerkung beim Thema Bildungspolitik. Der Redner strich die gute Zusammenarbeit mit dem Kreis bei der Gestaltung der Schullandschaft heraus und setzte dann hinzu: „Lieber Herr Rempe, da bleibt einem neuen Landrat eigentlich nur noch eine Aufgabe: die Etablierung einer Hochschule in Buchholz.“ Offenbar war das eine Anspielung auf einen der skurrilen Anträge des Ex-Piraten im Kreistag, Erich Romann.

Erneut stellte Geiger sich öffentlich vor seine vom Wochenblatt und konservativen Politikern angefeindete Stadtbaurätin Doris Grondke: „Liebe Frau Grondke, ich freue mich sehr, dass wir mit ihnen eine Baurätin gefunden haben, die nicht in Schubladen denkt, sondern den ganzen Schrank erkennt.“ Alle Bürger seien aufgerufen, sich in die Erarbeitung des ISEK (Integriertes Stadtentwicklungskonzept) einzubringen, um für alle Bereiche der Stadt die Weichen zu stellen. Am kommenden Sonnabend wird das ISEK übrigens mit der 1. Bürgerwerkstatt in der Empore in eine entscheidende Phase eintreten.

In Geigers Rede durften auch Hinweise auf die Erfolge der Sportvereine und der kulturellen Vereine und Einrichtungen wie der Empore nicht fehlen. Besonders erwähnte er diesmal auch die Stadtwerke bzw. Wirtschaftsbetriebe. Sie seien mehr als ein bloßer Versorger, unterstützen das BuchholzBad und den BuchholzBus und bauten seit der Gründung von Buchholz Digital 2011 an der „Datenautobahn für unsere Stadt“. Für die Zukunft von Buchholz sei das unverzichtbar, denn „ohne schnellen Internetzugang wäre die Stadt bald abgehängt“.

Dann dankte der scheidende Bürgermeister noch allen, die sich ehrenamtlich engagieren, besonders aber den fast 100 Buchholzern, die sich im „Bündnis für Flüchtlinge“ zusammengetan haben, um sich um die Buchholz ankommenden Asylbewerber zu kümmern. „Ganz nebenbei stellen sie sich damit nicht zuletzt der Verantwortung, die uns die Buchholzer Geschichte auferlegt.“ An dieser Stelle gab es Beifall, aber wohl nur von etwa der Hälfte des Saals…

Schließlich zog Geiger ein kurzes persönlichen Resümee. „1991 bin ich in den Dienst der Buchholzerinnen und Buchholzer getreten, seit 2006 als ihr Bürgermeister. Unterm Strich hat mir die Arbeit immer Spaß gemacht“, sagte er und sparte nicht mit einem Seitenhieb aufs Wochenblatt: „Trotz der regelmäßigen und bisweilen überzogenen Kritik in der Presse arbeite ich sehr gerne für die Bürgerinnen und Bürger von Buchholz.“ Den anwesenden Wochenblatt-Chefredakteur Reinhard Schrader hatte er offenbar mit der Bemerkung im Blick: „Und mein Chefkritiker geht ja auch mit mir in Pension.“

Wenig überraschend war, dass der Erste Kreisrat Rainer Rempe, der am 25. Mai neuer Landrat werden will, Geigers Lobgesang nahtlos fortsetzte, stehen die beiden sich doch politisch recht nah. Natürlich strich er ebenfalls das Votum der Buchholzer für den Ostring heraus. Auch wenn im laufenden Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch keine Entscheidung gefallen sei, so sei doch der Bürgerwille „ein klarer Auftrag an Politik und Verwaltung, hier zu einer Lösung zu kommen“. Der Landkreis stehe zu seinem Wort: „Die Ortsumgehung ist notwendig und muss kommen!“

Voll des Lobes war Rempe auch für die zunehmende Beteiligung der Bürger in Buchholz, wie beim ISEK oder beim Bürgerhaushalt. Er halte es für notwendig und sinnvoll, Bürger frühzeitig in wichtige Entscheidungen einzubeziehen, wenn er auch zu bedenken gebe, dass Bauplanungsverfahren und Raumordnungsprozesse oft „sehr komplex“ seien. Eine „Kultur des offenen Dialogs“ sei entscheidend, um die Herausforderungen der Zukunft einer Kommune zu meistern, Buchholz gehe da mutig voran, auch wenn es darum gehe, Flüchtlinge aufzunehmen.

Rempe wörtlich: „Ich bin der Stadt Buchholz sehr dankbar, dass sie bei der Suche nach Unterkünften für Asylbewerber mutig und entschlossen, unbürokratisch und konstruktiv mit dem Landkreis kooperiert.“ Besonders bemerkenswert sei der Einsatz vieler engagierter Buchholzer, die das „Bündnis für Flüchtling“ gegründet hätten, „mit dem Ziel die neuen Nachbarn aus aller Welt in Buchholz willkommen zu heißen“.

Beim Thema Bildungspolitik strich der Erste Kreisrat die geplante Erweiterung der IGS Buchholz mit neuen Jahrgangshäusern und die Sanierung bestehender Schulgebäude in Buchholz als gemeinsame Zukunftsprojekte heraus. „Besondere Strahlkraft“ entwickele die Zukunftswerkstatt Buchholz. Das ISI-Gründungszentrum, das im Gewerbegebiet Vaenser Heide Existenzgründern die nötige Infrastruktur bereitstellen soll, sei ein „weiterer Meilenstein unserer Zusammenarbeit“.

Für allgemeines Schmunzeln sorgte Rempes Feststellung zur bevorstehenden Bürgermeisterwahl. Er habe gehört, dass sich bereits zehn Kandidaten zur Verfügung gestellt hätten, das sei bemerkenswert: „Das zeigt, lieber Herr Geiger, dass Sie hier so gut gearbeitet und so attraktiv gewirkt haben, dass sich viele Bewerberinnen und Bewerber um ihre Nachfolge bemühen.“ Wer in einem Jahr mit der Bürgermeisterkette um den Hals die Buchholzer und ihre Gäste in der Empore begrüßen wird, ist offen – am Freitag muss sich die CDU entscheiden, wen sie gegen Zinnecker ins Rennen schickt.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Comments (

4

)

  1. buchholzblog

    Danke Uwe für das positive feedback!

    Like

  2. Uwe Schulze

    Moin Kristian, ich freue mich auch über diese wirklich gute Berichterstattung.
    Ich bin auch der festen Überzeugung, dass der „buchholzblog“ das Potentential hat eine echte Alternative und Nachfolge zur HAN zu werden.

    Wenn es Herr Geiger wirklich geschafft hat Flächen des GE III Trelder Berg – unter Dach und Fach zu bekommen, dann hätte er damit zum Abschluß noch einen Meilenstein hinterlassen.

    Viele Grüße und weiterhin viel Erfolg
    Uwe

    Like

  3. buchholzblog

    Danke. Meine Analyse der Gesellschaft wird vermutlich in ihren Grundzügen dieselbe bleiben – aber zugunsten einer größeren Akzeptanz und Verbreitung bin ich durchaus bereit, an dieser Stelle auf Fundamentalkritik zu verzichten und auch im Ton moderater aufzutreten. Wie ich ja bereits geschrieben habe, benötigen der Landkreis und die Stadt dringend eine gut gemachte journalistische Alternative zum Wochenblatt.

    Like

  4. Karsten Müller

    Leider konnte ich aus terminlichen Gründen heute nicht am Neujahresempfang der Stadt Buchholz teilnehmen. Da ist es gut zu wissen, dass es jetzt mit dem Buchholz Blog eine sachliche Berichterstattung in der Nachfolge zur HAN gibt. Wenn die mitunter etwas überzogene Kapitalismuskritik – insbesondere gegen einzelne Unternehmen – in Zukunft noch ausbleibt, so entsteht hier eine echte Informationsquelle, die Buchholz dringend benötigt. Dem Buchholz Blog und seinem Betreiber ist dann eine möglichst große Verbreitung und hoffentlich auch ein wirtschaftlicher Erfolg nur zu wünschen.

    Like