Der Standortwahn als Symptom der Krise – Bernd Belina referierte in Hamburg

Von Kristian Stemmler

Schon im Jahr 1982 schrieb der amerikanische Humangeograph und Sozialtheoretiker David Harvey: „Die Herstellung räumlicher Konfigurationen und die Zirkulation von Kapital in der gebauten Umwelt ist (…) ein höchst aktives Moment im allgemeinen Prozess der Krisenentstehung und -lösung.“ Wie recht er damit hatte, wurde spätestens 2007 deutlich, als in den USA die Immobilienblase platzte und sich eine globale Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise sondergleichen entfaltete. Mit allen Folgen, die wir derzeit erleben.

Was das alles mit den Städten zu tun hat, welche Bedeutung die Spekulation mit Immobilien im Kapitalismus eigentlich hat, warum unsere Innenstädte immer mehr mit Einkaufszentren vollgeknallt und die einkommensschwachen Stadtbewohner an die Peripherie gedrängt werden – auf all diese Fragen gab der politische Geograph und Marxist Prof. Bernd Belina aus Frankfurt jetzt bei einer Veranstaltung im Hamburger Gängeviertel erschöpfend Auskunft.

„Krise des Kapitalismus – Krise der neoliberalen Stadt“ war sein ebenso aufschlussreicher wie anspruchsvoller Vortrag überschrieben, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kapitalismus in der Krise“ (der blog berichtete) stattfand. Veranstalter war diesmal der Landesverband Hamburg der Linksjugend [’solid], der Raum war mit gut 80 GenossInnen gefüllt.

Eigentlicher Startschuss für das Aufpumpen der Immobilienblase, so führte Belina aus, war der Ausbruch der Dotcom-Krise im Jahr 2000, als klar wurde, dass die hochgespannten Erwartungen in die New Economy nicht einzulösen waren. Die Fed in den USA reagierte mit einer Niedrigzinspolitik auf den Absturz, massenweise Geld suchte nach neuen Anlagemöglichkeiten. So kam es zur Immobilienblase, neben den USA wurden vor allem Großbritannien, Spanien und China von dem Prozess erfasst.

Die Voraussetzungen für diese Umschichtung waren in den Jahren zuvor geschaffen worden. Seit 80ern war an Finanzkonstruktionen und Arrangements gewerkelt worden, die Investitionen in den Immobilienmarkt in diesem Umfang erst möglich machten. Insbesondere seit 2000 wurden Verbriefungen staatlicherseits als Methode gefördert, was das exponentielle Wachstum des „sekundären Kapitalkreislaufs“ erst ermöglichte. So konnte der Immobilienmarkt in den USA einen großen Teil des Kapitals, das durch das Platzen der Dotcom-Blase frei wurde, direkt absorbieren, es wurden die Innenstädte ausgebaut, expansiv suburbane Wohnhäuser errichtet und Büros hochgezogen.

Die Städte sind also zuerst einmal der umbaute Raum, mit dem viel Geld verdient werden kann und verdient wird, wie Belina betonte. Damit sich das aber auch lohnt, damit Wohnungen und Büros auch vermietet werden können, so erklärte der Referent, müssen die Städte natürlich auch attraktiv sein. Im Zuge des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft würden erstens Städte daher immer wichtiger und zweitens würden diese wie alle anderen Kommunen auch in einen zunehmend gnadenloseren Wettbewerb getrieben. Belina verwies auf die beliebten Städterankings, in denen vor allem die „weichen Standortfaktoren“ beleuchtet werden. Diese Rankings seien „methodischer Quatsch“, weil das Ergebnis komplett von der Konstruktion abhänge, also im Grunde beliebig und belanglos sei.

Traurig, aber wahr: Seit den ausgehenden 80er Jahren werden sämtliche lokalen Politikfelder auf das Ziel hin ausgerichtet, dass Städte angesichts der vermeintlichen „Bedrohung der globalisierten Welt“ konkurrenzfähig bleiben. „Standortpolitik“ ist das Stichwort, das jedem Kommunalpolitiker geläufig ist. Wie ein Mantra wird bei jeder Gelegenheit vorgebetet, dass man im Wettbewerb mit den anderen Kommunen mithalten müsse, dass es darum gehe, Unternehmen anzusiedeln, Investoren anzulocken, günstige Bedingungen zu schaffen, die Gewerbesteuer niedrig zu halten etc. pp.

In Buchholz ist das, um die Sache mal auf die lokale Ebene runterzubrechen, derzeit gut zu erkennen an der Haltung und den Äußerungen von Kommunalpolitikern zur gerade eröffneten Buchholz Galerie im Zentrum der Stadt. Ob das Mega-Einkaufszentrum architektonisch die Stadt zerschlägt und möglicherweise das Gefüge des Einzelhandels nachhaltig beschädigt, interessiert erst mal nicht – entscheidend ist das ständig wiederholte Argument, es müsse Kaufkraft an Buchholz gebunden werden, die sonst in konkurrierende Kommunen abfließt.

Der Buchholzer Bürgermeister begreift sich wie viele seiner Amtskollegen in anderen Städten als Zugpferd der Wirtschaft und „Investorenflüsterer“, er hält Ansprachen auf Richtfesten von komplett privaten Bauprojekten ohne großen Nutzen für die Allgemeinheit oder gibt sich für eine Fotoaktion („Wir sind Buchholz“) her, die eine reine Werbeaktion für die Buchholz Galerie ist. Also, ich finde, das ist nicht die Aufgabe eines Bürgermeisters, dafür kriegt er nicht sein großzügiges Salär!

In einem kurzen historischen Abriss verwies Belina darauf, dass es der sozialdemokratische Rechtsaußen Klaus von Dohnanyi war, der 1984 als Erster Bürgermeister von Hamburg den Startschuss für das Konzept der neoliberalen Stadt im deutschen Raum gab. Vor einer exklusiven Runde im Überseeclub, eine Clique reicher und einflussreicher Hanseaten, prägte er damals den Begriff „Unternehmen Hamburg“. Der Begriff zeigt deutlich an, dass hier die Stadt nicht mehr als Raum begriffen wird, in dem das Zusammenleben der Bewohner, aller Bewohner, irgendwie sozial gestaltet werden soll, sondern dass vor allem günstige Investitionsbedingungen geschaffen und betriebswirtschaftlich vorgegangen werden soll.

Eine ausschlaggebende Rolle in einer so begriffenen neoliberalen Stadt spielt natürlich der „Wettbewerb um die Köpfe“, das Werben um junge, kreative, einkommensstarke Aufsteiger, von denen sich die Städte Attraktivität und Wachstum versprechen. Auf das Wohlbefinden dieser Leute wird die kommunale Politik, natürlich auch in Hamburg, komplett ausgerichtet.

Die Folgen: eine galoppierende Gentrifizierung, wie sie seit etlichen Jahren etwa in der Schanze, im Karoviertel, in St. Georg und Ottensen zu beobachten ist, die Realisierung von teuren „Leuchtturmprojekten“ wie der ElbPhilharmonie (Belina: „Überall wird irgend so ein Zeugs gebaut!“), der Ausbau der Wirtschaftsförderung, der Umbau der Innenstädte zu Orten unbeschwerten Konsums (siehe Buchholz Galerie!) und damit einhergehend die Verdrängung von Randgruppen wie Junkies oder Bettlern von zentralen Plätzen (seit Jahren in Hamburg ein Thema, etwa Voscheraus „Bettlerpapier“, aktuelle die Übertragung des Hausrechts für die Flächen vor dem Hauptbahnhof an die Bahn).

Wie so viele andere Setzungen der neoliberalen Ideologie wird auch die Rede vom Wettbewerb als ein nicht hinterfragbares, ein quasi naturgegebenes Gesetz vermittelt und wahrgenommen. Kaum jemand erkennt die Problematik des Ansatzes und die überaus problematischen Auswirkungen. Das Bewusstsein dafür schwindet, dass Kommunen vor allem ein Gemeinwesen sind, in dem es Diskussionen und Aushandlungen über Zielsetzungen geben muss, in dem es zuerst um die sozialen Bedürfnisse der Bewohner geht. Als alleiniger Zweck lokaler Politik wird nur noch die technokratische Anpassung an angeblich übergeordnete Sachzwänge, denen sich Kommunalpolitiker und Bürger als Schicksalsgemeinschaft im Kampf um den besten Standort zu beugen haben, verstanden. Das führt letztlich auch zu einer Aushöhlung der Demokratie.

Auch die sozialen Auswirkungen einer neoliberalen Stadtpolitik sind katastrophal, wie man in Hamburg ja zunehmend feststellen kann (Kürzungen in der freien Jugendarbeit etc.). Das Wohnen wird immer teuer, damit die Investitionen in den Immobilienmarkt sich auch lohnen. Um die hohen Mieten am Markt durchsetzen zu können, wird künstlich eine ständige Knappheit an Wohnraum erzeugt, die Wohnungsnot gehört also notwendig zu diesem Paradigma. Letztlich ist der Immobilienmarkt somit, wie Belina ausführte, ein Instrument der Umverteilung von unten nach oben.

Wie notwendig angesichts dieser Entwicklungen eine linke stadtpolitische Bewegung ist, die im Sinne eines „Take back the city!“ für die Rückeroberung städtischer Räume und gegen den Mietenwahnsinn kämpft, das machten Bernds Ausführungen mehr als deutlich. Um mit emanzipatorischen Gegenentwürfen aber überhaupt Gehör zu finden, bedarf es dringend einer Debatte über die tieferen Zusammenhänge.

Zuerst einmal muss klar gemacht werden, wie fragwürdig die behauptete Naturgesetzlichkeit der Standortpolitik in Wirklichkeit ist und wie zerstörerisch für die Gemeinschaft. Daher reicht es nicht, für bezahlbaren Wohnraum zu kämpfen. Es muss vor allem darum gehen, die Selbstverständlichkeit zu attackieren, mit der die Reichen und Mächtigen die Städte nach ihrem Gusto umbauen – und natürlich die Utopie eines anderen, selbstbestimmten Lebens in einer gerechteren Gesellschaft wach zu halten!

No pasarán!

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Comments (

0

)